13.10.2010

Auf die Probe gestellt

Natalie Tippmann ist 19 Jahre alt und wohnt in Leipzig. Sie will eine Ausbildung im Handwerk machen. Aber einfach bewerben reicht heute nicht mehr. Die Betriebe baten Natalie zum Probearbeiten. Hier lest ihr, wie es war:

„Eigentlich wollte ich immer studieren. Aber vor einigen Wochen war ich bei einer Berufsberaterin. Als ich ihr sagte, dass ich gerne etwas Handwerklich-Kreatives machen wolle, war sie sofort Feuer und Flamme. Handwerk sei grundsolide, meinte sie und hat mir eindringlich zu einer Ausbildung geraten. Studieren könne ich ja später noch. „Also warum nicht?“, dachte ich mir und bewarb ich mich bei mehreren Betrieben.

Bei zwei Firmen fruchtete die Bewerbung. Ein Dentallabor und eine Orthopädiewerkstatt luden mich zum Probearbeiten ein. Zum Probearbeiten – kein Bewerbungsgespräch. Im Handwerk sollte wohl auch das getestet werden, worauf es wirklich ankam: das handwerkliche Können. Ich war ein wenig irritiert. Ich hatte mich eher auf ein Bewerbungsgespräch eingestellt. Jetzt war ich noch aufgeregter.

Bewerbungsgespräche hatte ich schon viele. Ich wusste, welche Fragen auf mich zukommen würden und hätte mich gut darauf vorbereiten können. Aber Probearbeiten? Was hätte ich im Vorfeld dafür tun können? Schließlich hab ich vorher weder Gebisse gebaut noch einen orthopädischen Schuh gezimmert. Also sprang ich ins kalte Nass.

Mein Tauglichkeitstest beim Zahntechniklabor dauerte einen halben Tag. Dort angekommen, begrüßten mich meine neun anderen Mitstreiter, darunter nur zwei Jungs. Zahntechnik ist wohl eher was für Mädchen.

Eine Mitarbeiterin wies uns in die Arbeit ein. Es gab keine Einzelgespräche. Irgendwie ungewohnt. Sie erklärte, welche Aufgaben jeder zu lösen hatte, und dann ging es auch schon los. Zuerst mussten wir ein Gips-Gebiss-Modell abzeichnen. Danach wurden unser Allgemeinwissen und unser zahnmedizinisches Wissen getestet. Alles kein Problem. Worauf es wirklich ankam, war die praktische Arbeit: Drähte biegen und ein eigenes Zahnmodell anfertigen. Das war ziemlich anstrengend. Vor allem, weil wir alles in einer bestimmten Zeit schaffen mussten. Dabei entstand eine richtige Wettbewerbsatmosphäre. Jeder wollte besser sein als der andere. Aber mir machte das nichts aus. Im Gegenteil, der Druck motivierte mich eher. Ich bekam alles in der vorgegebenen Zeit hin. Vielleicht nicht perfekt, aber fürs erste Mal doch nicht schlecht.

Das Probearbeiten in der Orthopädiewerkstatt lief anders. Zwei Tage sollte ich in der Werkstatt zeigen, was ich kann. Der Betrieb testete die Bewerber einzeln.  Als ich ankam, hat mir eine Mitarbeiterin zunächst Regelungen zum Arbeits- und Sicherheitsschutz erklärt. Danach bekam ich meine Schürze und war bereit, loszulegen: Sohlen ausschneiden, Leisten abschleifen, Füße ausmessen – ich wurde voll in die Produktion integriert. Außerdem stand ich nicht ständig unter Beobachtung wie im Dentallabor. Ich bekam viele Einblicke in die Arbeit eines Orthopädieschuhmachers. Bis auf die blauen Finger vom Sohlen anklopfen hat es mir auch viel Spaß gemacht.


Auch die Arbeit im Zahnlabor fand ich super. Zeichnen, Formen, Schleifen – das ist genau mein Ding. Letztendlich könnte ich mir beide Berufe für meine Zukunft vorstellen.

Das Probearbeiten hat mir bei meiner Entscheidung wirklich geholfen. Wären nur die nervigen Fragen eines Personalchefs beim Vorstellungsgespräch zu beantworten gewesen, hätte ich mir doch gar kein Bild von der Arbeit machen können. Und für die Betriebe ist das Probearbeiten sicher auch besser. Ob ein Bewerber handwerkliches Geschick hat, erfährt man aus einem Gespräch nicht.

Eine Rückmeldung habe ich noch nicht bekommen. Von beiden nicht. Die Einstellungstests sind aber auch erst ein, zwei Wochen her. Eine Absage wäre für mich allerdings kein Weltuntergang. Denn durch das Arbeiten habe ich gemerkt, was ich wirklich will: Eine Ausbildung im Handwerk.

Aufgeschrieben von: Sandra Kühnel